Im Frühsommer 2023 wurde von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) eine Ausschreibung zum Thema Transformationsprozesse in Deutschland ausgeschrieben. Grundsätzlich wurde in drei Bereiche untergliedert:
- die Digitale Transformation,
- die Transformation als gesellschaftlicher Prozess sowie
- die Transformation infolge des Klimawandels.
Der kleine Heimatverein Gebstedt hat sich natürlich gefragt, ob er sich einer diesen großen Themen stellt und wenn ja welchem und mit welcher grundlegenden Idee? Kann ein so kleines Dörfchen mit nicht mal 300 Einwohnern wirklich einen vernünftigen Beitrag dazu leisten?
Schließlich haben wir uns für das letzte Thema entschieden, weil es uns auch unter den Nägeln brennt. Eigentlich werden bei solchen Ausschreibungen immer besonders innovative, kreative und anspruchsvolle Ideen prämiert. Die sind uns beim besten Willen aber nicht eingefallen. Die Probleme, die wir in der Realität haben, sind eigentlich ganz profaner Natur. Auf unseren Feldwegen stehen inzwischen sehr alte Obstbäume, die durch die trockenen Sommer immer stärker abgestorben sind. Genauso sieht es bei den Windschutzstreifen mit den Büschen aus. Da das Problem sich in den letzten Jahren immer stärker gezeigt hatte, hatten wir bereits 2022 die Idee, eine eigene kleine Baumschule zu schaffen, denn pflanzfertige Bäume sind inzwischen sehr teuer geworden, vor allem wenn es um den Bedarf von mehreren 100 Bäumen geht.
Also haben wir eine Projektskizze mit verschiedensten Bausteinen entwickelt, um unsere Umwelt nachhaltig wieder gerade zu rücken.
- der erste große Baustein war also die Bepflanzung der mit der Zeit enstandenen Lücken. Schnell war uns klar, dass eine Pflanzung von mehreren 100 Bäumen allein mit ehrenamtlicher Kraft nicht zu stemmen ist. Also mussten wir eine Firma engagieren und dafür eine Ausschreibung machen. Gleiches gilt für die Pflege, denn pro Baum werden ca. 50l Wasser pro Gießgang benötigt. Für 100 Bäume sind das schon mal 5.000 Liter, d.h. Traktor mit Wasserfass wird benötigt. Erste Preisrecherchen haben ergeben, dass ein Baum zu kaufen, zu pflanzen und drei Jahre zu pflegen ca. 1.000 Euro kostet. damit wäre unser Geld ganz fix weg gewesen. Uns kam zu Hilfe, dass nur der Kauf und die Pflanzung förderfähig war, also haben wir für die Pflege eine eigene Variante gefunden. Die Bäume in der Ortschaft haben wir über Pflegepatenschaften der Einwohner abgesichert und für die Pflanzungen außerhalb des Ortes haben wir eine Lösung mit zwei Landwirten gefunden.
- dazu passend wurde die Idee der Baumschule etwas weiter entwickelt und zum zweiten Bestandteil gemacht.
- der dritte und vierte Baustein widmete sich der Artenvielfalt
- keiner wusste mehr, wann es die letzten Bienenstöcke in Gebstedt gegeben hat. Für die Pflanzenvielfalt sind sie aber grundlegend wichtig! Deswegen werden wir eine kleine Bienenwirtschaft errichten und haben dafür einen Imker aus der Region gewinnen können.
- in den 50er und 60er Jahren waren hier die Hamster noch eine böse Plage wie an vielen Stellen in Deutschland. An der Weinstraße hatten wir sogar schwarze Hamster, die es relativ selten gab. Inzwischen sind sie schon seit zig Jahren durch die intensive Landwirtschaft ausgerottet. Zusammen mit unseren Landwirten und dem Mittelthüringer Landschaftsschutzverband möchten wir sogenannte Hamsterstreifen anlegen, um die kleinen Tierchen wieder ansiedeln zu können. Diese sind ca. 12m breite Streifen mit Feld- und Wildblumen, ein weiterer mit Getreide wie Gerste oder Roggen und ein dritter mit Klee und Akelei. All das sind die Grundlagen zur Ernährung der Hamster.
- der fünfte und sechste Bestandteil widmen sich der nachhaltigen Mobilität. Hier auf dem „platten Land“ existiert eigentlich kein ÖPNV mehr außer für die Schulkinder.
- Deswegen werden wir einen Versuch mit Mitfahrerbänken wagen. Denn unsere Senioren müssen auch mal einkaufen, zum Arzt oder zur Apotheke oder sonstige Wege erledigen. Sie sind immer auf fremde Hilfe angewiesen, wenn sie nicht wegen eines Termines fast den ganzen Tag dafür investieren wollen oder können. Uns ist klar, dass es nur die Bänke alleine nicht bringen werden, sondern dass es ein breites Portfolio an Maßnahmen und Kommunikation bedarf sowie einiger Zeit zur Entwicklung.
- Da wir dabei sind unsere Region auch touristisch zu erschließen, haben wir als letzten Baustein eine solarbetriebene eBike-Ladestation vorgesehen. Wir möchten damit unser Dorf etwas attraktiver machen und den einen oder anderen Radtouristen zum Verweilen einladen.
Umso überraschter waren wir, als wir für unsere Projektbewerbung einen Zuschlag bekamen. Mit 90%iger Förderung gab es ein Gesamtbudget von 100 T€ über eine Projektlaufzeit von ca. 14 Monaten inklusive dem 10%igen Eigenanteil, den bei uns die Landgemeinde übernommen hat, da es eigentlich eine kommunale Aufgabe ist.
Am 17. und 18. November 2023 hat in Berlin eine große nationale Tagung zu diesem Programm stattgefunden, zu der mehr als 500 Teilnehmer aus ganz Deutschland angemeldet waren. Unser Projekt war eines der drei Klimaschutzprojekte, die dort vor großem Publikum präsentiert wurde.
Parallel dazu ging es zu den ersten Umsetzungsschritten vor Ort, den Baumpflanzungen.
Durch verschiedene Vorbereitungen sollte im November eigentlich die Pflanzungen beginnen, die sich durch den Wintereinbruch zum Ende November dann doch in den Dezember verschoben haben. Dann wurden aber zuerst die Obstbäume entlang der Rudersdorfer Chaussee sowie in der Ortschaft Gebstedt und am Molkereiweg gepflanzt.
In einem zweiten Ruck kam die Streuobstwiese und der Neue Weg von Neustedt dran.