Wie in vielen anderen Dörfern und Städten des Deutschen Kaiserreiches hat sich auch in Gebstedt das gesellschaftliche Leben in Institutionen gegossen. So wurde im Juli 1913 die Gebstedter Burschenschaft gegründet, die sich vor allem um die Kirmes und andere Festivitäten im Dorf gekümmert hat. Das älteste Dokument dazu ist von der Kirmes 1910 in Gebstedt (siehe oben).
Die Fahne muss schon eine Vorgeschichte haben, denn rechts neben dem Emblem des Burschen Vereins steht die Jahreszahl 1913 und links eine weitere mit 19… Leider verdeckt das Fahnenband diese Zahl und es ist das einzige Foto, auf dem diese Fahne zu sehen ist.
Kurioserweise hat sich am 02. September 1923 ein weiterer solcher Verein gegründet, die Gebstedter Burschengesellschaft. Zur Gründung wurde auch deren Fahne geweiht, die bis heute erhalten ist. Demnach haben in unserem kleinen Dorf zwei Burschen-Vereine parallel um die Gunst der Dorfbevölkerung geworben. Einzelheiten oder Hintergründe dazu sind leider nicht mehr bekannt. Spekulieren wollen wir darüber aber auch nicht.
Mit der Wahl der NSDAP 1933 wurde schrittweise das gesellschaftliche Leben gleichgeschaltet. Dies ging letztlich soweit, dass zum 04. April 1933 Vereine und Gewerkschaften verboten wurden. Damit nicht genug, nun wurde nach und nach auch das Eigentum der ehemaligen Vereine oder Gewerkschaften konfisziert bzw. gleich zerstört oder vernichtet.
Zwei engagierte Gebstedter scheinen das rechtzeitig geahnt zu haben. Jedenfalls wurden zwei Fahnen auf dem Dachboden eines Bauernhofes eingemauert und somit versteckt. Aber nicht nur über die Zeit der Nazi-Diktatur, sondern bis 1989 zur Wende, denn die russischen Besatzungstruppen und die deutschen Kommunisten als deren Helfershelfer waren nicht besser als die vorherigen Nazischergen.
Jedenfalls wurden die Fahnen von Alfred Hergt nach der Wende wieder herausgeholt und waren nun die hochgefeierten Reliquien zur Kirmes. Doch die Zeit des Versteckens sind nicht spurlos an der Fahne vorüber gegangen. Auf einer, der blauen Seite hat sich der Seidenstoff in lange Fäden aufgelöst und die Stickereien haben letztendlich noch den Stoff zusammen gehalten. Lange wurde wohl diskutiert, dass man eigentlich die historische Fahne der Gebstedter Burschen-Gesellschaft wieder reparieren lassen müsste. ABER das ist richtig teuer!
Als sich 2018 der Heimatverein wieder gegründet hatte, war dies eines der Projekte, was ganz oben auf der Liste stand. Es wurde überlegt, was es dazu braucht, denn nur die Reparatur reicht ja nicht. Die 100-jährige Fahnenweihe steht quasi vor der Tür und es geht damit nicht nur um die Wiederherstellung der alten Fahne, sondern auch um die gesamte Festivität der 100-jährigen Fahnenweihe. Am Ende waren wir uns einig, dass es dafür ein Budget von geschätzten 10 T€ braucht.
Da dieser Betrag jegliche Kassenbestände sprengt, war schnell klar, dass wir eine Spendenaktion machen müssen. Also wurde zuerst ein Spendenaufruf formuliert, gedruckt und an alle Haushalte verteilt. Schnell haben sich die ersten bereitwilligen Spender gemeldet. Dazu kam, dass die Landgemeinde Stadt Bad Sulza auch einen Beitrag dazu leistete, so dass wir einen großen Teil unseres Budgets zusammen haben, wenn auch noch nicht alles.
Nachdem das erste Geld zusammen gesammelt war, sahen wir uns um, wer die Arbeit dafür übernehmen könnte. Letztendlich fiel die Wahl auf die Kurbelstickerei Kerstin Eschner in Apolda. So konnte nicht nur die Leistung zu einem fairen Preis eingekauft werden, sondern das Geld bleibt auch in der Region. Das war uns wichtig!
Nach langen ausführlichen Beratungen hatten wir uns entschlossen, nicht die alte Fahne reparieren zu lassen, sondern eine neue Fahne nach dem Vorbild der alten fertigen zu lassen. Im September 2020 kam dann die Nachricht, dass die Fahne fertig ist.
Nun waren aber viele gespannt, wie sie denn aussieht und überhaupt. Und was, sie soll erst zur Fahnenweihe 2023 das Licht der Welt erblicken? Das geht ja wohl gar nicht! Also haben wir uns erweichen lassen, und haben zur Kirmesandacht im November 2020 die neue Fahne mit in die Kirche genommen, wo sie mit großer Begeisterung aufgenommen wurde.
Wenig später hatte unser Ehrenmitglied und Dorfältester seinen 90. Geburtstag. Er war übrigens der erste, der nicht nur eine Spende für die Fahne gegeben hat, sondern auch dazu noch eine sehr großzügige. Da er zur Kirmesandacht aus gesundheitlichen Gründen nicht konnte, hatte er leider die Fahne verpasst. Er fragte mit fast feuchten Augen, ob er sie nicht mal sehen könnte, denn ob er die 100-jährige Fahnenweihe noch erlebt, dass ist ihm nicht wirklich sicher.
Also ist eine Abordnung des Heimatvereins mit der neuen Fahne zu seiner Geburtstagsfeier, wo nicht nur er, sondern all seine ganze Familie mit Kindern und Enkeln die Fahne bestaunt haben. Es war wohl eines der schönsten Geschenke des Tages für ihn, so sagte er selbst wenige Tage später.
Damit war zwar die Fahne erneuert, aber es fehlte noch eine Menge um eine schöne Fahnenweihe feiern zu können. Also bekam die neue alte Fahne zuerst einmal einen eigenen Fahnenstiel mit Spitze und Bänderring. Dazu noch einen neuen Tragegurt sowie ein paar Handschuhe. Im Sommer 2023 kam die Veranstaltung immer näher und fix wurde noch eine Vitrine für beide Fahnen in Auftrag gegeben und die Fahnenbänder für die Fahne sowie für die Fahnen der Gäste. Alle waren eingeladen und eigentlich war alles nach den fast 4 Jahren Vorbereitungen rechtzeitig fertig geworden.
Zwei Wochen vor unserem großen Festwochenende zog am 15. August jedoch ein sehr schweres Unwetter über Gebstedt und verwüstete das halbe Dorf. Abgedeckte Dächer, entwurzelte bzw. umgeknickte Bäume im reichlichen dreistelligen Bereich haben die Feierlaune jäh enden lassen. In einer Versammlung des Dorfes am 17. August wurde quasi einstimmig entschieden, dass alles verschoben wird.
Zumindest die Fahnenweihe wollten wir aber noch in diesem Jahr nachholen. Also haben wir unser Kirmesfest dazu auserkoren, denn wann, wenn nicht zur Kirchweih!
Also wurden wieder alle eingeladen und Fahnenmutter und ihre Fahnenjungfern probten fleißig, damit zur Veranstaltung alles glatt läuft, genauso wie unserer Fähnrich Sebastian. Am 04.11.2023 um 17 Uhr war es dann soweit. Die Kirche füllte sich langsam aber stetig, bis alle Plätze bis auf der 2. Empore besetzt waren. Ca. ein Dutzend befreundete Vereine waren mit ihren Fahnen aus der Landgemeinde Bad Sulza, aus der ehemaligen Vogtei Gebstedt sowie aus der Nachbarschaft angereist. Die Fahnen positionierten sich auf der Orgelempore und gaben der Veranstaltung ein ganz besonderes Ambiente.
Nach der feierlichen Weihe bildeten die Gastfahnen vor dem Ausgang der Kirche eine Gasse, wo die neu geweihte neue alte Fahne stolz im Lichte von dutzenden Fackeln durchgetragen wurde. So begann der Fackelumzug durch das Dorf, bis wie wieder im Saal angekommen sind, wo wir gemeinsam auf den tollen Abend angestoßen haben bevor die Kirmesgesellschaft den Saal für ihren Abend in Besitz genommen hat.
Rückblickend wurde von allen festgestellt, dass es ein einmaliges Erlebnis gewesen ist, von dem noch lange geschwärmt wird. Durch unsere Gäste und unsere Festmannschaft ist dieser Abend zu einem großartigen Event geworden, der Maßstäbe gesetzt hat.
Zu Gast aus der Landgemeinde waren:
- Heimat- und Dorfverein Bergsulza e.V.,
- Thüringer Weinbauverein Bad Sulza e.V.,
- DRK Reisdorf e.V.,
- Kirmesjugend Ködderitzsch
Aus dem Bereich der ehemaligen Vogtei Gebstedt reisten an:
Und dann waren natürlich noch die Nachbarn dabei:
- Heimatverein Nirmsdorf e.V., die schon vor 100 Jahren dabei waren sowie
- der Willerstedter Heimatverein e.V.